Fast 10 Jahre sind seit der globalen Finanzkrise von 2007-2009 vergangen, doch dessen Einfluss auf unser Denken und Handeln ist noch immer sichtbar. Nehmen wir zum Beispiel die Freizügigkeitsstiftungen und die Säule 3a in der Schweiz, die zusammen ein langfristig gebundenes Kapital von ca. 150 Milliarden Franken halten. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass mehr als 75% dieser Ersparnisse in Zinskonten gehalten werden, die rekordtiefe Renditen erzielen (1).
Ein weiteres frappierendes Beispiel ist, dass sich kaum jemand über die sehr dürftigen Renditen Schweizer Pensionskassen aufregt. Im Gegenteil, Pensionskassenmanager und ihre Kunden geben sich mit durchschnittlichen Renditen von nur ca. 2% pro Jahr zwischen 2008 und 2015 zufrieden. Wenn ich mit Familienangehörigen, Kollegen, Freunden spreche und die Medien lese, höre ich dieselben Argumente. Man sucht Sicherheit und fürchtet, Geld zu verlieren.
Der Wunsch nach Gewissheit ist verständlich, doch leider setzen die meisten privaten und professionellen Anleger Volatilität gleich mit Risiko und glauben, dass niedrige Preisschwankungen mehr Sicherheit bedeuten. Dieses Missverständnis ist bedauerlich, weil es auf lange Sicht zu einem enormen Verlust von Kaufkraft führt. Viele glauben Bargeld und Staatsobligationen seien sicher, halten aber Aktien für riskant. Dabei wären $1'000, die 1977 in kurzfristige Staatsobligationen investiert wurden, 40 Jahre später auf lediglich $6'092 gestiegen. Derselbe Betrag wäre bei Investition in mittelfristige Staatsobligationen auf $15'573 gestiegen. Hätte man jedoch diesen Betrag in einen breit diversifizierten Aktienindex (wie z.B. S&P 500) investiert, dann wäre die Investition auf stolze $64'062 angestiegen (2).
Abb. 1: Entwicklung verschiedener Vermögensklassen, 1997-2016
Das tatsächliche Risiko ist folglich nicht, dass eine Investition Preisschwankungen ausgesetzt ist, sondern dass die Investition die Kaufkraft womöglich nicht schützt. Etwas, das auf den ersten Blick sicher scheint, kann in der Tat äusserst riskant sein. Und das ist wahrscheinlich noch nie so zutreffend gewesen wie heute, denn angesichts der rekordtiefen Zinssätze sind Bargeld, bargeldähnliche Anlagen und vermeintlich "sichere" Obligationen furchtbare Investitionen. 10-jährige US-Staatobligationen haben nominale jährliche Renditen von rund 2% (3). Das bedeutet, dass sie zu einem Kurs-zu-Gewinn-Verhältnis von 50 gehandelt werden. Bargeld, kurzfristige Obligationen und die meisten europäischen Staatsanleihen liefern noch weniger Rendite und sind daher noch teurer. Aber es wird noch schlimmer. Ihre Gewinne (Renditen) sind fix und können nicht steigen, während sich die westlichen Zentralbanken für eine höhere Inflation einsetzen.
Im besten Fall werden solche Investitionen mittel- und langfristig dürftige Renditen erzielen. Wahrscheinlicher ist, dass sie sich deutlich schlechter entwickeln als zwischen 1977 und 2016 und erhebliche Kaufkraftverluste verursachen. Die sogenannten "sicheren Renditen" der Vergangenheit haben sich heute in "renditelose Risiken" verwandelt. Wenn wir geringe Preisschwankungen mit Gewissheit gleichsetzen, täuschen wir uns selbst. Schlimmer noch, wir zahlen einen hohen Preis für ein trügerisches Gefühl von Sicherheit.
Die Unternehmen des S&P 500, des STOXX 600 und des MSCI Emerging Markets Indexes werden für ein Kurs-zu-Gewinn-Verhältnis von ca. 24, 18, respektive 16 gehandelt (4). Zudem steigern sie langfristig betrachtet ihre Gewinne. Daher kann man heute mit grosser Sicherheit davon ausgehen, dass eine Investition in eine Gruppe von Firmen in Form von breit diversifizierten Aktienindexfonds langfristig besser rentieren wird als Bargeld oder Staatsobligationen. In diesen Aktienindizes gibt es sogar einige sehr starke Unternehmen mit langlebigen Wettbewerbsvorteilen, die zu attraktiveren Preisen gehandelt werden als der Index als Ganzes. Anleger, die Unternehmen verstehen und bewerten können, werden daher selektiv vorgehen und nur in die aussichtsreichsten Aktien investieren. Dadurch können Sie Risiken weiter minimieren und noch bessere Renditen erzielen als mit breit diversifizierte Aktienfondindizes.
Tragischerweise halten Privatpersonen immer noch übermäßig viel Bargeld. Pensionskassen, Versicherungsgesellschaften sowie Vermögensverwalter investieren weiterhin einen erheblichen Teil der ihnen anvertrauten Vermögenswerte in Anleihen. So hatten Pensionskassen in Kanada, Japan, den Niederlanden, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich im Jahr 2016 durchschnittlich rund 44 % ihres Vermögens in Anleihen investiert (5).
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich sage nicht voraus, was die Märkte kurzfristig tun werden. Die nächste Krise könnte vor der Tür stehen. Da die letzte Krise 10 Jahre zurückliegt, behaupten viele, die nächste stehe kurz bevor. Das kann sich als wahr erweisen oder auch nicht, das weiß niemand. Es gibt kein Naturgesetz, das vorschreibt, dass es mindestens einmal pro Jahrzehnt eine Krise geben muss. Die Geschichte der Aktienmärkte zeigt vielmehr, dass sich langfristige Anleger keine Sorgen über kurzfristige Marktschwankungen machen müssen:
Im 20. Jahrhundert erlebten die Menschen die Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren mit massiver Arbeitslosigkeit, zwei Weltkriege, den Einsatz von Atombomben, zahlreiche regionale Kriege, Epidemien, die Ölkrise in den 80er Jahren, die Asienkrise in den 90er Jahren, und der Dow-Jones-Index stieg im Laufe des 20. Jahrhunderts von 68 auf 11'497, selbst ohne Berücksichtigung oder Reinvestition von Dividenden.
Und für diejenigen, die nicht ein Jahrhundert warten können: Seit dem Jahr 2000 erlebten wir das Platzen der Internetblase (der Dow-Jones-Index fiel um ca. 40%) und die Finanzkrise, die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg (der Dow-Jones-Index fiel um mehr als 50%) und der Dow-Jones-Index stieg von 11'497 auf 19'762 Ende 2016, wiederum ohne Berücksichtigung oder Reinvestition von Dividenden.
Unternehmen sind produktive Vermögenswerte, geführt von Menschen, die eine bessere Zukunft für sich selbst wollen. Dies macht Unternehmen als Ganzes widerstandsfähig gegenüber allen unvermeidlichen Herausforderungen. In ihrer Gesamtheit erwirtschaften sie attraktive Renditen und reinvestieren im Sinne der Anleger, um immer höhere Erträge zu erzielen.
Ein rationaler Anleger, der regelmäßig einen festen Betrag investiert, braucht sich keine Sorgen über unvorhersehbare Krisen und Börsencrashs zu machen. Im Gegenteil, der rationale Anleger profitiert von solchen Krisen, indem er automatisch mehr Aktien kauft, wenn die Kurse niedrig sind, und weniger Aktien erwirbt, wenn die Kurse hoch sind.
Wenn wir also wieder einmal den Drang nach Gewissheit verspüren, sollten wir uns fragen:
"Worüber wollen wir Sicherheit? Kurzfristige Preisstabilität oder Schutz unserer Kaufkraft?"
"Wie sicher müssen wir wirklich sein?"
"Welchen Preis sind wir bereit, für Sicherheit zu zahlen?"
Bahram Assadollahzadeh, CFA
September 2017
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